Nach dem ersten Teil der Serie, muss man leider in Neuseeland besonders auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis eingehen. Die zentrale Hotline als Beispiel hat nicht viele Möglichkeiten zu helfen. Der Ausbildungsgrad der Mitarbeiter dieser Hotlines ist sehr unterschiedlich, aber sehr häufig haben diese keine oder nur geringe therapeutische Ausbildungen. Besonders Abends, Nachts und am Wochenende beschränkt sich deren Tätigkeit anzuregen die nächste Notaufnahme aufzusuchen (mit üblichen Wartezeiten von 4-12 Stunden).
Wenn die Mitarbeiter den Eindruck haben, dass der Anrufer nicht kooperiert, können diese ausserdem einen Welfare-Check initieren. Solche Welfare-Checks in Neuseeland werden durch die Polizei durchgeführt, die – wiederum – kaum in diesen Bereich geschult ist. Aussagen wie
I have better thing to do
– Polizist Costable der Levin Station nach 3 Minuten in einen Welfare Check
Wenn die Polizei wiederum Bedenken hat, kann Sie den Betroffenen bitten in die Notfallaufnahme gebracht zu werden oder – wenn diese sich weigern – diese zwangsweise einweisen. Diese Einweisung wird “sectioning” genannt, da es auf Section 8 des Mental Health Act basiert. Solche EInweisungen führen zu einer Ersteinschätzung durch einen speziell geschulten und berechtigten Person. In vielen Fällen wird der Patient wieder entlassen und der Fall an die Community Health Team oder das Crisis Team übergeben.
Diese Vorgehensweise, die Einbindung der Polizei, die mangelnde Ausbildung und am Ende die vorschnelle Einweisung kann erheblich zur Verschlechterung der mentalen Gesundheit beitragen. Insbesondere, da dasselbe Procedure immer und immer wieder angewendet wird, selbst wenn vergangene Fakten zeigen, dass dies kein Weg zur Verbesserung der Situation darstellt. Das bedeutet, es ist ein Glücksspiel wenn man die Hotline anruft, on man Hilfe und Unterstützung erhält oder alles schlimmer gemacht wird.. Wenn immer möglich sollte man private Hilfe suchen, wenn man die Mittel oder die entsprechende private Krankenversicherung hat.
Mentale Gesundheit als Krankheit
Neuseeland sieht offiziel die mentale Gesundheit als Teil der Gesundheit eines Individums an, jedoch ist dies nicht unbedingt eine weitverbreitete Ansicht in der Bevölkerung. Mentale Probleme wird immer noch häufig nicht erstgenommen oder verschwiegen. Das macht es noch schwerer um Hilfe zu bitten.
Dies macht leider nicht halt vor Mitarbeitern der entsprechenden Dienste, insbesondere in den Crisis Teams, Hotlines oder der Community Mental Health Services. Diese sollen an sich auf die Bedürfnisse insbesondere von Patienten in Stressituationen eingehen, folgen aber vielmehr einen festgelegten Drehbuch.
In einen Fall reagierte eine Psychatrische Pflegekraft die innerhalb von zwei Jahren dasselbe Verfahren vorschlug auf ein Zitat von Albert Einstein “Doing the same think over and over again and expecting a different result, is the definion of insanity” mit dem folgenden Kommentar:
We did not accept abusive behaviour and I will end the call now.
– Mental Health Vet Nurse of the Kapiti Coast Mental Health Team before hang-up
Dies ist nur ein kleines Beispiel von dokumentierten Kommentaren und Verhalten von Mitarbeitern des Crisis Teams oder der Community Mental Health Teams. Dies führt zur Invalidierung der Patienten und kann dramatische Konsequenzen für den Patienten haben.
Wie vieles in Neuseeland kann die Qualität der Dienste und Trainingslevel der Mitarbeiter von Region zu Region unterschiedlich sein. So hat Auckland, Christchurch und Wellington etwas bessere Systeme was sich auch durch einige Pilotprogramme zeigt, wie z.B. Welfare Check von einen Team von einen speziell geschulten Sozialarbeiter und einen Polizister durchführen zu können. In Regionen wie der Kapiti Coast oder Manawatū-Whanganui sind dagegen deutlich schlechter aufgestellt. In Prinzip kann man sagen, um so weiter von den Ballungszentren, um so schlechter die Versorgung.
Quick & Dirty
Ein anderer Aspekt ist die eher häufig nur akute Betreuung. Es geht darum die aktuelle Krise zu managen und nicht die Ursachen zu erforschen und langfristige Lösungen zu finden. Selbst wenn ein Patient – üblicherweise erst nach Jahren und vielen Krisen – offiziel einen Case Manager der lokalen Community Mental Health Services zugewiesen bekommt, werden Diagnosen nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgenommen.
Nach nur 1-2 Besuchen mit einen Psychiater kann dieser eine Diagnose vornehmen ohne das die an sich Standardverfahren wie z.B. DSM-5 oder AMPD genutzt werden. Diese Verfahren beinhalten an sich Fragebogen mit hunderten von Fragen, Interviews mit Partnern und Eltern, eine vollständige erstellung der Historie insbesondere aus der Kindheit und Tests und Interviews. Stattdessen wird häufig eine Erstdiagnose vorgenommen ohne je eine tiefergehendes Diagnoseverfahren anzuwenden.
Die Folge hiervon ist eine vorschnelle Diagnose, insbesondere eine “beliebte” Erstdiagnose in Neuseeland ist BPD (Borderline personality disorder – Borderline-Persönlichkeitsstörung). Dies kann langfristige Konsequenzen haben, da sich BPD nur schwer von anderen Problemen wie PTSD, Depressionen, ADHD oder Autismus abgrenzen lassen, da viele Symptome identisch sind. Jedoch die entsprechenden Therapien sehr unterschiedlich sind und die falsche Therapie erneut mehr Schaden als Nutzen haben kann.
Ursachen der Probleme
Als Ursachen der – praktisch – schlechten Versorgung wird häufig die fehlenden Mittel und fehlenden Personal angegeben. Dies ist nicht vollständig von der Hand zu weisen, da es nur wenig qualifiziertes Personal gibt und die Anreize dieser Berufszweige nach Neuseeland einzuwandern gering sind, da Australien z.B. bessere Konditionen für diese Persongruppen bietet.
Jedoch bei genaueren hinschauen wird man feststellen, dass es weniger fehlende Mittel oder Personal ist, sondern die fehlerhafte Zuweisung vorhandener Resourcen.
Häufig werden Probleme selbst von den Crisis Teams, Polizei oder Community Mental Health Teams als “Attention Seeking” abgetan. Meta Studies wie Owens, Horrocks, and House (2002) haben jedoch ermittelt, dass weniger als ein Viertel von Suicidversuchen sich auf Attention Seeking zurückführen lassen. Die Konsequenzen sind dramatisch: Ein Grossteil von Personen mit mentalen Gesundheitsproblem wird abgetan und damit abgewertet. Dies führt zu eine Verstärkung der gesundheitlichen Probleme und damit potential auch an Bedarf für kosten- und personalintensiveren Behandlung.
Dazu kommt die überbürokratisierung des Verfahrens. Psychiatrische Patientenunterlagen zeigen, dass nehrere Personen inklusive Sozialarbeiter, Psychater und psychiatische Pfleger in Entscheidungen eingebunden sind, ob jemand überhaupt Hilfe erhalten kann. Die Pflege dieser Patientenunterlagen ist rückständig und erlauben so gut wie keine Korrekturen von Fehleinschätzungen und blähen sich daher zu dutzenden oder hunderte Seiten auf, die gelesen werden müssen. All dies führt dazu, dass wenig Resourcen übrig bleiben um am Ende den Patienten zu helfen.
Dies führt nicht nur zu einen, sondern zu einer Anzahl von Teufelskreisen und diese stellen einer der wesentlichen Ursachen der Überlastung des Systems dar. Selbst die Klassifizierung wann jemand Hilfe der Community Teams hat, integriert diese Fehleinschätzung – solange jemand nicht wirklich schwerwiegende Probleme hat (also z.B. Selbstmordversuche durchgeführt hat), wird man häufig nicht erstgenommen und die Teams entwickeln eine Tendenz dazu Patienen gering einstufen, um die Überlastung des Personals nicht weiter zu erhöhen – und damit mittel- und langfristig genau das Gegenteil auslösen.
Patientenvertretung und rechtliche Möglichkeiten
In einem System, das oft durch Bürokratie und Fehlallokation von Ressourcen geprägt ist, wird die Rolle der Patientenvertretung immer wichtiger. Patienten und ihre Familien sollten nicht zögern, sich für eine bessere Versorgung einzusetzen. Dazu gehört das Einholen einer Zweitmeinung, insbesondere wenn eine Diagnose oder Behandlung fragwürdig erscheint. In Neuseeland gibt es zudem Ombudsmann-Dienste, die Beschwerden über unzureichende Versorgung bearbeiten und als Vermittler zwischen Patienten und Gesundheitseinrichtungen fungieren können.
Es gibt zahlreiche Peer-Support Organisationen, teilweise gefördert von der Regierung – auf die jedoch die Community Mental Health Teams oder Crisis Teams nicht verweisen, selbst wenn Ihnen diese bekannt sind. Es ist daher essential sich im selbst weiterzubilden was in der Region verfügbar ist, entsprechende Facebook Gruppen beizutreten und sich mit anderen auszutauschen.
Wenn die Mängel in der Versorgung besonders gravierend sind, können auch rechtliche Schritte in Erwägung gezogen werden, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und sicherzustellen, dass die betroffenen Personen die notwendige Unterstützung erhalten. Diese Maßnahmen sind entscheidend, um das System zu verbessern und langfristig mehr Transparenz und Verantwortlichkeit in der psychischen Gesundheitsversorgung zu schaffen.
Im dritten Teil der Serie ist eine Liste der staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen und Hotlines, wenn man Hilfe sucht.