Am 15. November 2024 erregte ein Haka-Protest im neuseeländischen Parlament internationale Aufmerksamkeit. Die Māori-Abgeordnete Hana-Rawhiti Maipi-Clarke initiierte den traditionellen Tanz aus Protest gegen den umstrittenen “Treaty Principles Bill”. Dieser Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Prinzipien des Vertrags von Waitangi neu zu definieren, was bei vielen Māori auf starken Widerstand stößt.
Der Vertrag von Waitangi: Ein umstrittenes Dokument
Der Vertrag von Waitangi wurde 1840 zwischen der britischen Krone und zahlreichen Māori-Stammesführern unterzeichnet und gilt als Gründungsdokument Neuseelands. Doch schon von Beginn an war der Vertrag ein Streitpunkt. Ein zentraler Aspekt der Kritik ist, dass der Vertrag sowohl in englischer als auch in Māori-Sprache verfasst wurde, wobei es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Versionen gibt.
In der englischen Version garantierte die britische Krone den Māori “full und undisturbed possession of their lands, forests, fisheries and other properties”, während sie gleichzeitig die Souveränität Großbritanniens über Neuseeland anerkannte. In der Māori-Version jedoch steht der Begriff “tino rangatiratanga”, der nicht als bloße Besitzrechte, sondern als volle Souveränität oder Selbstbestimmung interpretiert wird. Die meisten Māori-Stammesführer unterzeichneten die Māori-Version, wodurch aus ihrer Sicht nie ein vollständiger Souveränitätsverzicht stattfand.
Beispiele für die Nichtumsetzung der Prinzipien
Im Laufe der Zeit wurde der Vertrag von der britischen Kolonialregierung und später vom neuseeländischen Staat mehrfach gebrochen oder ignoriert:
- Landenteignungen: Während den sogenannten “Māori-Landkriegen” im 19. Jahrhundert wurden große Teile des Māori-Landes von der Krone beschlagnahmt. Diese Enteignungen stehen im direkten Widerspruch zu den in beiden Versionen garantierten Rechten.
- Ressourcen: Die Kontrolle über traditionelle Ressourcen wie Fischereirechte wurde den Māori vielfach entzogen, trotz vertraglicher Zusicherung.
- Recht auf Mitbestimmung: Die politische und gesellschaftliche Mitbestimmung der Māori wurde lange Zeit vernachlässigt. Erst durch die Einrichtung des Waitangi Tribunals 1975 wurde eine Plattform geschaffen, um historische Ungerechtigkeiten aufzuarbeiten.
Protest und Symbolik
Parallel zum parlamentarischen Protest fand ein Hīkoi mō te Tiriti statt – ein Protestmarsch, der von der Spitze der Nordinsel bis zum Parlament in Wellington führte. Das Wort “hīkoi” stammt aus der Māori-Sprache und bedeutet “Marsch” oder “Protestmarsch”. Historisch gesehen wurden hīkoi genutzt, um auf soziale und politische Missstände aufmerksam zu machen, wie der berühmte Māori-Landmarsch von 1975.
Viele Teilnehmer trugen die Tino-Rangatiratanga-Flagge, die ein Symbol der Māori-Souveränität ist. Die Farben und das Koru-Motiv repräsentieren tief verwurzelte kosmologische und kulturelle Werte der Māori.
Ein interessanter Bezug zur aktuellen Debatte lässt sich in der Flaggenreferendum von 2015/2016 herstellen. Damals wurde darüber abgestimmt, ob Neuseeland seine Nationalflagge – mit dem Union Jack als Symbol der kolonialen Vergangenheit – beibehalten oder durch ein neues Design ersetzen sollte. Obwohl eine neue Flagge als Symbol für Einheit und eine Abkehr von kolonialen Wurzeln hätte dienen können, entschieden sich die Wähler letztlich, die bestehende Flagge beizubehalten. Die Initiative wurde von der National Party gestartet, die heute den umstrittenen “Treaty Principles Bill” vorantreibt. Aus heutiger Perspektive argumentieren einige, dass eine neue Flagge Neuseelands Identität und Multikulturalismus besser hätte widerspiegeln können. Doch die damalige Entscheidung zeigt, wie unterschiedlich Symbole der Einheit und Kontinuität interpretiert werden können und wie tief verwurzelt die Verbindungen zur Vergangenheit noch immer sind.
Ein Kampf um Rechte und Identität
Die Kombination aus dem Haka im Parlament und dem landesweiten Hīkoi zeigt, dass die Prinzipien des Vertrags von Waitangi aus Sicht der Māori bis heute nur unvollständig umgesetzt wurden. Die geplanten Änderungen durch den “Treaty Principles Bill” verstärken die Befürchtung, dass ihre Rechte weiter eingeschränkt werden könnten. Diese Proteste verdeutlichen, das auch Jahrhunderte nach dem Vertrag von Waitangi, dass Verhältnis zwischen Einwanderern und Maori nicht wirklich konfliftfrei sind.